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Mini-Sperrmüll des Öko-Gewissens: Dreck verschenken (Kolumne FN April 2023)

Kolumne "Das letzte Wort"
Arnd Rühlmann

Zuviel Müll ist doof und zerstört den Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Menschen. In diesem Punkt dürfte ausnahmsweise mal gesellschaftlicher Konsens herrschen. Und daran, dass wir alle zuviel Müll produzieren, dürfte es wohl auch kaum Zweifel geben.

Doch was können Einzelne denn tun, angesichts stetig wachsender Abfallberge?
Irgendwann hat sich irgendein bastelbegeisterter Hirni mal den schönen Begriff „Upcycling“ ausgedacht, um aus der Not eine Tugend und aus der Augenwischerei ein Hobby zu machen. Scharen von DIY-Deppen haben dann daraus einen weltweiten Trend fürs reine Gewissen kreiert. Und nun findet man auf YouTube unzählige Anleitungen, wie man der Umwelt zuliebe aus alten Chips-Dosen doofe Deko-Leuchttürme oder aus leeren Milchtüten potthässliche Zahnbürstenhalter fertigt. Kann doch kein Müll mehr sein, wenn man es liebevoll mit Öko-Lack bemalt, oder?

Hailichäsnaa! Bei den mit grellen Plakafarben bepinselten Joghurtbechern, die Tante Irmgard freudestrahlend als Oster-Mobile überreicht werden, handelt es sich immer noch um Abfall, eben nur in bunt und bei der Tante ausgelagert.

Okay, das Auslagern von Plastikmüll hat in Deutschland Tradition, landet doch z.B. ein guter Teil unserer gelben Säcke in der Türkei, Polen und Malaysia, auch wenn er vorher nicht mit Servietten beklebt oder mit Glitzerspray aufgehübscht wird.

Wer zum Basteln zu faul ist, bedient sich einer geheimnisvollen Kiste. Man nehme einen der vielen Kartons von der wöchentlichen Zalando-Lieferung, kritzele mit Edding irgendwo die verheißungsvollen Worte „zu verschenken“ auf die Seite und werfe das ausgewählte Entsorgungsgut hinein; dann ab auf den Bürgersteig mit der Stolperfalle!

Gleich der mystischen katholischen Wandlung einer Oblate in ein göttliches Leichenteil transformiert – zumindest in den Gehirnen der Abfallreduzierungswilligen – die schäbige Pappschachtel den darin enthaltenen Schrott in nachhaltige, ökoligisch wertvolle Geschenke. Was sich da nicht alles findet: Ein Malen-nach-Zahlen-Bild von van Goghs „Sonnenblumen“ (fast fertig, nur Grün fehlt noch), eine leicht angeschlagene Sammeltasse mit Porträt von Theo Waigel, ein noch in Folie eingeschweisstes Münchner Telefonbuch von 1998, ein leicht angeschmolzener Dildo von der idiotischen „Candelight-Dinner-Mit-Mir-Selbst“-Idee des Therapeuten – so schöne Präsente!! Da ist man doch gleich viel dankbarer für den zum Geburtstag lieb- und kommentarlos in die Hand gedrückten 5€-Schein von Tante Irmgard.
Anstatt Hundehaufen auszuweichen muss man mittlerweile in den Stadtrandgebieten eher darauf achten, nicht alle paar Meter in eine „Zu-verschenken“-Kiste zu treten. Zum Glück ist die Lösung für beide Probleme die gleiche: Wer’s nicht in einen Plastikbeutel steckt und entsorgt, muss mit Strafen bis in vierstelliger Höhe rechnen. Sauber!

Arnd Rühlmann

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