
Mein aktuell liebstes fränkisches Sprüchla lautet: „Wenn die Worscht so dick is wie’s Brot, is es worscht, wie dick es Brot is.“
Schon seit frühester Jugend begeistern mich solche Redewendungen. Da ich aber, wie man mir seit 50 Jahren regelmäßig versichert, „net von do“ bin, klangen die Idiome, die ich zuhause mitbekam, ganz anders als die meiner einheimischen Mitkinder.
Besonders meine Mutter steckte voller wundersamer Weisheiten und bezaubernder Bonmots, die wie aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit schienen. Einige stammten vermutlich von den ostpreußischen Vorfahren, andere hatte sie aufgeschnappt, als sie in den 60er-Jahren als Lehrerin an einer Zwergschule im Teufelsmoor angestellt war. (Was übrigens deutlich weniger mit Harry Potter zu tun hat, als die meisten glauben wollen, denen ich davon erzähle.)
Seit ihrer Beerdigung vor einigen Wochen habe ich oft ihre Stimme im Ohr. Hänge ich z.B. ein Plakat nicht ordentlich auf, höre ich ihren Kommentar: „Schief ist englisch, englisch ist modern.“
War ihr eine Arbeit lästig, schimpfte sie, es sei „zum Mäusemelken“, ein missratenes Essen schmeckte „wie Laternenpfahl ganz unten“ und wenn jemand sich blöd anstellte, war der „zu dumm zum Milchholen“. Wobei sie manchmal augenzwinkernd hinzufügte: „’N büschen doof is ja ganz niedlich.“
Regte man sich über Kleinigkeiten auf, tröstete Mutter: „Möge dir nie etwas Schlimmeres passieren.“ Für offensichtlich selbst verschuldetes Unglück hatte sie weniger Mitleid, da hieß es lapidar: „Scheiße, wenn man doof ist.“ Unnötige Diskussionen beendete sie entspannt mit „Nein, und wenn du dich auf den Kopf stellst und mit den Füßen wackelst.“
Viele von ihren geflügelten Worten hatten irgendwie mit Nahrungsaufnahme zu tun. „Essen macht Spaß, viel essen macht viel Spaß!“ erklärte sie zum Familienmotto; auf die Frage, was es denn heute gäbe, antwortete sie gerne „Rotes Nüschtchen mit blauen Füßen“; während der Mahlzeiten ermahnte sie uns regelmäßig: „Wer beim Essen singt, kriegt verrückte Kinder!“
Sellerie kam nicht auf den Tisch, ohne dass Mutter jauchzte „Freu dich, Fritzchen!“ Und während der Brite behauptet „An apple a day keeps the doctor away“ erklärte sie stets: „Ein Apfel vor dem Schlafengehen vertreibt sündige Gedanken.“
Manche ihrer Lebensregeln schienen mir allerdings kryptisch und mysteriös. Wenn man beispielsweise jemandem Kaffee nachschenkte, obwohl sich noch ein Rest in der Tasse befand, bemerkte meine Mutter mit gespieltem Tadel: „Zugießen verplempert die Liebe!“
Das größte Geheimnis ist jedoch nach wie vor ihr Ausspruch „Lila macht kleine Füße.“ Seit Jahren zitiere ich diesen Satz in fröhlicher Runde zur großen Erheiterung der Zuhörenden, doch eine Erklärung dafür konnte mir bisher niemand geben. Lila macht kleine Füße. Was soll das bedeuten? Was, Mama, was?
Arnd Rühlmann