
Ein Freundschaftskick eines fränkischen Bayerligisten gegen einen Berliner Bezirksligsten geht 3:4 aus. Wen kümmert´s? Normalerweise kein Schwein-Schäuferla! Doch seit Dienstag, 9. September 2025, muss die Fußballgeschichte zumindest in der Domstadt neu geschrieben werden, pardon: gestreamt, werden. Den munteren 90 Minuten im Fuchs-Park-Stadion zwischen dem FC Eintracht Bamberg und Delay Sports aus der deutschen Hauptstadt folgten 4 680 Zuschauer. Die zweitbeste Kulisse in der Vereinsgeschichte ever.
Lange Schlangen an den Eingängen. Verzögerter Spielbeginn angesichts der Massen. TV-Teams und sonst noch nie hier am heimischen Grün gesehene Sportreporter ließen sich akkreditieren. Schon im Vorverkauf ein Hype, als würden die Millionaros des Bayern München zu einer Stippvisite in die fränkische Provinz kommen. Die Domreiter, auch angesichts der Dominanz der Basketballer in „Freak-City“ mit 392 Fans pro Spiel nicht gerade gesegnet, verdankten die vollen Rängen und die wundersame Verzehnfachung ihrer Zuschauerzahl dem wohl ungewöhnlichsten Fußballclub Deutschlands.
395,5 Kilometer und vier Stunden und vier Minuten Fahrt liegen zwischen den Spielstätten von Delay Sports und Eintracht Bamberg. Das nährt den Verdacht, dass auch viele junge, meist männliche Social Media-Nutzer „vo do“ ins Stadion gekommen sind. Beim Blick ins prallgefüllte Rund: So viele Jugendliche, Halbwüchsige, Heranwachsende und gerade erst Großjährige quetschten sich noch nie im Fuchs-Park-Stadion auf den altehrwürdigen Rängen.
Eherne Fußballweisheiten und Fußballwahrheiten irgendwie zwischen Herberger, Löw und Nagelsmann werden von Delay Sports atomisiert und verschwinden wie verglühende Sterne in der Unendlichkeit des World Wide Web. Denn bei Delay Sports ist nicht die Mannschaft der eigentliche Star, sondern ihr prominenter Geburtshelfer: Elias Nerlich. Der Youtuber, Web-Video-Macher und Twitch-Streamer, der mehr als eine Million meist jüngere Follower hat, gründete mitten in Zeiten des Virus den Amateurclub Delay Sports – und will ihn mit seiner viralen Marketing-Strategie innerhalb von zehn Jahren in den analogen Profifußball führen.
Schon vor dem Anpfiff und eine Stunde nach dem Match bedrängten Hunderte Nerlich für ein Selfie oder ein Autogramm. In Zeiten von Fake News gehört zur Wahrheit aber auch dazu: Die Kicker von Delay Sports wurden zumindest nach der Partie verehrt, als wären sie Kane, Wirtz oder Musiala. Auf Instragram hat das Team rund 550 000 Follower. Für die ältere und „normale“ Fan-Basic der Eintracht: Instagram ist eine Anwendung, die man sich kostenfrei auf sein Smartphone herunterladen kann und mit Bildern und Videos seine Botschaften verschönern kann.
Delay Sports kann aber nicht nur „Wischkästla“, sondern auch Fußball. Und zwar effektiv gut. Vier Schüsse aufs Tor – viermal drin. Auch spielerisch hielten die Internetstars gegen die höherklassigen Bamberger mit, gingen früh in Führung, glichen kurz vor der Pause die beiden Eintracht-Treffer von Valentin Schmitt und David Lang aus. In der zweiten Halbzeit zogen sie auf 2: 4 davon, ehe Jonah Schildbach es mit seinem Anschlusstreffer noch mal spannend machte.
Trotz des Sieges: Zumindest vor der Partie mussten sich die Berliner mit ihrer viralen Anhängerschaft einmal geschlagen geben. Petrus setzte auf seine Follower – und schickte Millionen Regentropfen zum Spiel des Jahrzehnts. Also: 1:1? Eher nicht. Nerlich und Delay Sports gehört die Zukunft. Zumindest im Kommunikationsweltraum.
Thomas Pregl