Anzeige

Vorgetäuschtes Mittagessen: Die „Bowl (Kolumne FN Mai 2023)

Kolumne "Das letzte Wort"
Arnd Rühlmann

Eines vorneweg: Ich gebe zu, meine Generation hat keine Ahnung von gesunder Ernährung!
Woher hätten wir es auch lernen sollen? Unsere Mütter waren bereits emanzipiert genug, um selbst berufstätig zu sein, unsere Väter aber noch lange nicht so gut erzogen, dass sie einen nennenswerten Beitrag zur Hausarbeit geleistet hätten. Da blieb gerade das alltägliche Kochen oft auf der Strecke.

Also waren hauptsächlich Käpt’n Iglo und Mamma Miracoli für unsere Mahlzeiten verantwortlich, und wenn Besuch kam gab es Toast Hawaii. Außerdem wurde uns vom Werbefernsehen erklärt, süße Cremeschnitten wären ein „leichtes Pausenbrot“, bunte Bonbons seien „gesunde Vitamine“ und eine zuckrige Frischkäsezubereitung „so wertvoll wie ein kleines Steak“.
Trauen sie deshalb in Ernährungsfragen niemandem, der in den 70ern geboren wurde. Doch auch nachfolgende Generationen haben es geschafft, immer wieder neue, lächerliche Nahrungsmittelmoden zu kreieren, die schon wenige Jahre später nur noch ungläubiges Kopfschütteln verursachen. Ein aktuelles Beispiel für so einen hoffentlich bald wieder vergessenen Food Trend ist die Bowl.

„Bowl“ heißt übersetzt „Schüssel“ und bedeutet letztlich nur, dass verschiedene Zutaten möglichst dekorativ in einer solchen präsentiert werden. Der Unterschied zu einem Salat ist, dass man sich nicht mal die Mühe gemacht hat, die Komponenten miteinander zu vermischen.

Trotzdem ist der Siegeszug der Bowl auf den Speisekarten nicht aufzuhalten. Figurfixierten Frauen und mageren Hipstern gilt sie nicht nur als vitales Powerfood, sondern aufgrund ihrer wild zusammengeworfenen internationalen Ingredienzen auch als urban, kosmopolitisch und weltoffen. Vor einiger Zeit hätte man noch „exotisch“ angeführt, doch dieses Adjektiv hat die ach so achtsame Bowl-Zielgruppe mittlerweile auf die Müllkippe diskriminierungsverursachender Übelwörter geworfen. Aber keine Sorge, Kinner: Eure Bowls sind exakt so „exotisch“ wie seinerzeit unser Toast Hawaii.

Die Bowl sieht nicht aus wie eine Mahlzeit, sondern wie wenn jemand eine Mahlzeit vorbereitet. (Die Kochshowgeschulten unter uns nennen das „Mise en place“.) Da liegen kleine Häufchen rohen Gemüses zusammenhanglos nebeneinander, in der Mitte höchstwahrscheinlich ein Klumpen Glasnudeln und wenn man Pech hat noch ein paar Scheiben Avocado, dieses höchst vermeidungswürdige Gemüse, das – wie doch gerade die achtsame Hipsterbrut wissen sollte – extrem umweltschädigend und noch dazu (wenn nicht ordentlich angemacht) ziemlich geschmacksneutral daherkommt.

Nein, die Bowl ist kein Essen, sie ist ein uncooler und peinlicher Versuch, Essen zu imitieren. Bowls sind wie Vapen für den Magen! Davon kann kein durchschnittlich gebauter Erwachsener satt werden! Und Hunger macht unglücklich und bösartig. In diesem Sinne: Please forgive me for what I said when I was hungry.

Arnd Rühlmann

Zurück zum Seitenanfang